Protest | Support | Act – Zur Ökonomisierung der Zeichen des Protests

von Rudi Maier

Werbung und Revolution

Täglich wird jede und jeder von uns ca. 5000 mal „beworben“ – im TV, im Radio, in der Zeitung oder auf den Straßen und Plätzen der Städte, im Internet, beim Kochen und Duschen, beim Reisen oder abends in der Kneipe. Aufmerksamkeit ist längst zum knappen Gut geworden. In der Sphäre der „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ versuchen sich die PR-Agenturen mit scheinbar immer neuen Strategien ihren Auftraggebern gegenüber als erfolgreich zu verkaufen. Das Spiel mit den Zeichen und Codes gehört zu ihren basics, auffallen um jeden Preis lautet die Devise. Die Sammlung „so geht revolution“ dokumentiert einen spezifischen Ausschnitt der Arbeit von Werbeagenturen, indem sie Werbeanzeigen zeigt, die allesamt mit den Zeichen und Symbolen, Parolen und Ikonen linker und alternativer Protestbewegung operieren. Sie umfasst als „Ausstellungsprojekt in progress“ derzeit ca. 1800 Print-Werbeanzeigen aus den Jahren 1967 bis heute, sowie etwa 80 Werbe-Videoclips. Starring u.a. : Che Guevara, Karl Marx, Lenin, Mao, Rosa Luxemburg und Ulrike Meinhof. Ihre Forderungen: „Fight for your rights!“, „Join the revolution!“, „Viva la libertad!“ und „Radikalisier das Leben!“ Ein italienisches Modelabel Diesel brachte dieses umkämpfte Verhältnis in einer Kampagne vor einigen Jahren auf den Punkt – Protest, support and act: Diesel.com.

Making money and more with Marx

Eine der ersten kommerziellen Anzeigen, die sich einer „linken Ikonographie“ bedient, wurde im Jahr 1967 publiziert und das nicht zufällig. Das damalige gesellschaftliche Spannungsverhältnis im Westen machte es möglich mit dem Konterfei von Karl Marx an bedeutende Diskurse anzuknüpfen und garantierte damit ein Minimum an Aufmerksamkeit. Die „feindliche Übernahme“ durch die Werbeindustrie und die Verwendung linker Codes und Symbole auf massenhaft produzierten Gütern, hat eine strategische Funktion. Dick Hebdige, aus dem Umfeld des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham, hat diese strategische Funktion in seiner Untersuchung „Subculture – Die Bedeutung von Stil“ bereits Ende der 70er Jahre untersucht. Am Beispiel des Punk in Großbritannien zeigte er, wie (subkulturelle) Dissidenz und Verweigerung, Protest und Widerstand fortwährend in die „bedrohte Ordnung“ wiedereingegliedert werden und damit die „kulturelle Hegemonie“ wiederhergestellt wird. Dabei unterscheidet Hebdige zwischen zwei Formen der Wiedereingliederung: „Erstens die Verwandlung subkultureller Zeichen (Kleidung, Musik, etc.) in massenhaft produzierte Objekte (die Warenform) und zweitens die Etikettierung und Umdefinierung abweichenden Verhaltens durch die herrschenden Gruppen – Polizei, Medien, Justiz (die ideologische Form).“ [1] Seit kurzem gibt es Papiertaschentücher mit dem Konterfei des Commandante Che zu kaufen, mustergültiges Objekt der Massenproduktion. Die Etikettierung und Umdeutung politischen Widerstands findet vor allem durch „Strategien der Verniedlichung und der Lächerlichmachung“ statt. Die Verniedlichung dient der „Zähmung des Gefährlichen“, die Lächerlichmachung stempelt zum bedeutungslosen Exoten, zum „Kasperle“.

Anrufungsstrategien im Wandel

Werbeanzeigen sind Zeichensystem des Sozialen, Ausdruck konkreter gesellschaftlicher Zusammenhänge und Verhältnisse und sie zeigen die Transformation des Kapitalismus. Sie können als Vorschlag zur Lebensbewältigung und als soziale Gebrauchsanleitung interpretiert werden oder als Versuch, Menschen dümmer zu machen als sie sind. Denn nach wie vor haben die Leute ihren eigenen Kopf... Der britische Kulturwissenschaftler Stuart Hall spricht (schematisch) von drei Möglichkeiten der Medienrezeption. Der dominant-hegemonialen Lesart, der ausgehandelten Lesart und der oppositionellen Lesart. Während Werbeanzeigen aus den sechziger und siebziger Jahren, die mit den Zeichen und Ikonen der Linken operierten, darauf abzielten, die Abweichler ins bürgerliche Mainstream-Lager zu reintegrieren, lautet die neue Strategie nun vielmehr Differenz zum Mainstream als Konsummotiv zu offerieren: „Think different!“ heißt es bei Apple, „Be different!“ bei DaimlerChrysler, „Disconnect“ bei Tiscali oder potentielle Kunden werden aufgefordert die gesellschaftlichen Spielregeln zu missachten: Lebe „Nach eigenen Regeln“. In den von Marion von Osten beschriebenen „Produktionshallen der Differenz“, in denen permanent radikalsubjektive Gegenwartswelten entworfen werden, gehört die Umdeutung, Zerlegung und das andauernde Spiel mit Zeichen und Codes zum Alltagsgeschäft.

Achtung, Achtung, hier spricht ...

Im Sommer 2004 eröffnete in einer süddeutschen Großstadt eine Filiale des berühmtesten skandinavischen Einrichtungshauses, dessen Name an dieser Stelle nicht erwähnt zu werden braucht. Polit-AktivistInnen dieser Stadt, angefixt von der „Umsonst“-Bewegung dieses Jahres, beschlossen daraufhin, dieser Filiale einen Besuch abzustatten und die anwesende Kundschaft zu fragen: „Shoppst du noch, oder lebst du schon?“ Sie druckten sich T-Shirts mit diesem Slogan, malten Transparente, erstellten Flugblätter und deckten sich mit Sekt und Knabbereien ein, um eine der so genannten Schau-Wohnungen in der neu eröffneten Filiale zu besetzen. Sie enterten die Schauwohnung und befestigten ihr Transparent: „Diese Wohnung ist besetzt“. Fast zwei Stunden dauerte die Aktion. Dann zogen die AktivistInnen wieder ab – und waren enttäuscht. Vielleicht weil der Leiter der Filiale – ein studierter Ethnologe - unter der Bedingung kein Feuer zu machen sein O.K. gab und keine Polizei rief, vielleicht weil die anwesenden Kunden die Aktion gut fanden und vielleicht weil einige nicht so genau wussten ob das nun einen Protestaktion gegen oder eine Werbeaktion für das Möbelhaus war. Schließlich erkannte doch noch der Verfassungsschutz die Gefährlichkeit dieser Aktion und fabulierte auf seiner Homepage „dass der ideologische Hintergrund dieser Besetzungsaktion im Kampf für eine andere Gesellschaftsform zu suchen ist. Denn nach kommunistischer Überzeugung sind Menschenrechte im Kapitalismus nicht realisierbar.“

Die Inszenierung der bunten Bilder

William J.T. Mitchell konstatierte vor vielen Jahren den „pictorial turn“ (oder bildliche Wende). Seit der Einführung des privaten/kommerziellen Fernsehens Mitte der achtziger Jahre ist das Fernsehen zur Bildproduktionsmaschine Nummer Eins geworden, auch hat sich das Internet von einer kryptischen Unix-Maschinerie zu einer bunten Multimedia-Plattform gewandelt. Seit längerem gibt es den Diskurs um „die Macht der Bilder“. Die US-Regierung präsentierte zur Vorbereitung des Krieges gegen den Irak: Bilder. Bilder, die anscheinend die Produktionsanlagen von Massenvernichtungswaffen im Irak zeigen. Wer erinnert sich in diesem Zusammenhang noch an die vermeintliche Befreiung der Soldatin Jessica Lynch? Eine perfekte Inszenierung zur Entlastung an der Heimatfront. Mit Foucaults Ansatz der „Kunst des Sehens“, der diesen skizzierten Zusammenhang von Macht und Bild dechiffrieren will, sind Bilder „Räume konstruierter Sichtbarkeiten“. Bilder sind dreifach funktional. Sie sind Ausdruck und Abbild gesellschaftlicher Prozesse, sie sind Träger der Produktion und Weitergabe von Wissen, sie sind strukturelles Element von Herrschaftsausübung in dem Sinne, dass immer auch zu fragen ist: „Was wird gezeigt und was wird nicht gezeigt“

Auch du kannst Großes bewegen!

Auszug aus einer Pressemitteilung des Unternehmens Europcar zu einer Kampagne, bei der eines der meistreproduzierten Fotos der Welt zum Einsatz kam. Dabei handelt es sich um ein Foto, das Alberto Korda im Jahr 1960 aufnahm und das ganz wesentlich zur Ikonisierung des „vollkommensten Menschen unserer Zeit“ (J.P. Sartre [2]) beitrug: des Comandante Che Guevara.

„Ab Anfang März startet die Europcar Autovermietung eine außergewöhnliche Anzeigenkampagne. (...) Das wohl auffälligste Motiv mit dem kubanischen Freiheitskämpfer „Che Guevara“ unter der Headline: „Auch du kannst Großes bewegen“, wird in der Berliner Stadtillustrierten „tip“ geschaltet. Auch Europcar versteht sich als Unternehmen, das seinen Kunden Freiheit bietet – und zwar Freiheit durch Mobilität. Im Vergleich zu Che Guevaras großen Taten können die Kunden bei Europcar mit der umfangreichen LKW-Flotte auch besonders große Gegenstände transportieren.“

Anmerkungen

[1] Hebdige, Dick: Subculture: The Meaning of Style, Methuen, London 1979, p. 94.

[2] Anderson, Jon Lee: Che: Die Biographie, Econ & List 1999, p. 396.