code flow - events

Digitaler Dachstock 2

luncheon on the grass - postproduction by code flow

ein Projekt von code flow (Dimitrina Sevova & Alain Kessi)

Kuratorin: Martina Weber

17 August - 17 November 2006

at the Digitaler Dachstock of Haus für Kunst Uri

(the museum will be closed from 25 September to 20 October)

Besprechungen

Review Villő Huszai / clickhere.ch

Dies ist eine Spiegelkopie der Online-Besprechung dieses Projekts auf clickhere.ch:

Wilhelm Tells Reproduzierbarkeit und ein feministischer Rollentausch (von Villő Huszai)

Wilhelm Tells Reproduzierbarkeit und ein feministischer Rollentausch

von Villő Huszai

Als zweiter Teil des Zyklus «Digitaler Dachstock» zeigt Gastkuratorin Martina Weber im Altdorfer Haus der Kunst zwei Videos von «code flow». Und das Künstlerkollektiv nutzt das touristische Klischee des innerschweizer Städtchens sogleich geschickt für eine (De-)montage via technische Reproduzierbarkeit.

Fast könne erschrecken, wer auf der Anreise ins Altdorfer «Haus für Kunst Uri» am wuchtigen Original vorbeikommt: Das Urner Tell-Denkmal ist in Schweizer Köpfen zwar omnipräsent, das aber als Abbild, in weit handlicherem Format. Noch bis kommende Woche zeigt «code flow» in Altdorf unter anderem das zu diesem Anlass produzierte Video «altdorf sightseeing tour - your guide: code flow». Dimitrina Sevova und Alain Kessi, das bulgarische-schweizerische Kollektiv, leben in Zürich. Sie wenden ein Kardinalthema der Medienkunst – die Reproduzierbarkeit – auf das gute alte Urner Städtchen und seinen steinernen Helden an: ein verstaubtes Sujet unseres kollektiven Gedächtnisses, medienkünstlerisch belebt.

Mastroianni and Moreau: CopiesWilhelm Tell Copy on Smart
Zwei Stills aus code flow's Video «altdorf sightseeing tour - your guide: code flow»

Das Video besteht aus zwei Teilen. Es beginnt mit einem Auszug aus Michelangelo Antonionis und Wim Wenders' Film «Beyond the Clouds» von 1995, worin sich Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni über Kunst und Kopien unterhalten. «I wonder why our society needs all these copies of things. I don't mean only painting, no, but... copies of everything... even such things as clothes, suitcases, bags, watches.» Darauf folgt eine Diashow mit Fotos von Altdorf, die eine halb touristische, halb dokumentarische Sicht auf das Städtchen (re-)produzieren. Das Tell-Denkmal ist dabei dominant und zwar nicht nur als direktes Objekt vor der Kamera. Es ist eigentlich überall: als Graffiti, als Abziehbild auf einer Autokarosserie, als Kravatten-Motiv. Das visuelle Spiel mit der Reproduzierbarkeit ist mit einer Tonspur gekoppelt. Zunächst kommentiert äusserst trocken das Geräusch eines Kameraverschlusses den Wechsel von Bild zu Bild. Die Schlusssequenz aber zieht alle Register des Erhabenen und Emotionalen, die unser globales Audio-Archiv zu bieten hat.

Es hat etwas Verblüffendes, wenn kosmopolitische Medienkünstler wie Sevova und Kessi sich eines so altvertrauten Schweizerischen Sujets annehmen. Auch etwas Riskantes – doch das Video überzeugt. Nicht als grosser Wurf des Künsterkollektivs, aber, so denkt man sich erst, als gelungene Gelegenheitsarbeit. Betrachtet man die Arbeit dann in Zusammenhang mit dem zweiten Video, das Sevova und Kessi am selben Grossbildschirm unter dem Museumsdach zeigen, gewinnt sie an Tiefe. Das zweite Video trägt den Titel «luncheon on the grass - postproduction by code flow». Es stellt eine Art Kopie von Edouard Manets Gemälde «Déjeuner sur l’Herbe» von 1862 nach – nur fällt die intrikate Eigenschaft der Nacktheit in der Video-Version von «code flow» nicht einem weiblichen, sondern einem männlichen Picknick-Teilnehmer zu. Die Kopie ist also nicht immer eine getreue Kopie. Das Thema der Reproduzierbarkeit kehrt wieder, nun aber mit energischem feministischem Dreh.

code flow - Luncheon on the GrassManet - Déjeuner sur l'herbe
Still aus code flow's Video «luncheon on the grass - postproduction by code flow»-
und die digitale Reproduktion der berühmten Vorlage: Manets «Déjeuner sur l'Herbe»

Die zwei Videos schaffen das Unmögliche: In die thematische Endlosschlaufe der Reproduzierbarkeit noch einmal einzutreten, ohne zu langweilen, sondern im Gegenteil geistig zu erfrischen. Dazu gehört, dass die in «luncheon on the grass» offensiv verhandelte Gender-Thematik in dezent-indirekter Weise auch die Wahrnehmung der Tell-Figur verändert; auf die forcierte Männlichkeit des Altdorfer Wahrzeichens fällt im Nachhinein ein Schlaglicht. Eine reizvolle formale Verbindung besteht auch im Sprachmix von Französisch, Italienisch und Englisch, der beide Videos prägt: Mastroianni spielt einen italienischen Maler, der sich mit seiner von Moreau gespielten Gesprächspartnerin auf Französisch unterhält, während die Untertitel in englischer Sprache erfolgen. In «luncheon on the grass« bezeichnet ein englischer Titel ein französisches Meisterwerk, die Tonspur begleitet das Video mit Pavarottis italienischem Heldentenor. So reflektiert sich auch das Sprachengemisch, in dem ein globalisiertes Kulturgut heutzutage transportiert wird.

Sevova und Kessis zeigen ihre Arbeiten im sog. «Digitalen Dachstock», der vom eidgenössischen Förderprogramm Sitemapping finanziell unterstützt wird. Die Mini-Ausstellung wurde von der Künstlerin Martina Weber kuratiert. Zuvor waren Arbeiten der welschen Kunstgruppe Collectif Fact ausgestellt, eine dritte Station folgt bereits ab 23. November. Mit diesem Zyklus zur digitalen Kunst nutzt das Museum einen Raum, der, so Kurator Peter Stohler, über fast kein Tageslicht verfügt und daher für White-Cube-Exponate nicht geeignet sei. Medienkunst als Animator eines ansonsten unbrauchbaren Dachgeviertes? Das klingt zunächst ausgesprochen provinziell und fest steht: Der Medienkunst kann in Altdorf kein grossartiger Auftritt gewährt werden. Aber zum einen passt das Dachgeschoss (weit ab vom Schuss, aber nahe am Himmel) gar nicht schlecht zum Genre Medienkunst, das trotz vieler Heilserwartungen ein notorisches Nischendasein führt. Zum andern überzeugt das kleine Urner Medienkunst-Exerzitium als Teil eines Museumsprogramms, das auch im Hauptprogramm eigene Wege geht. Die gerade laufende Haupt-Ausstellung «Performance in Progress« packt ein ausstellungstechnisch ähnlich schwieriges Thema jedenfalls auf sehenswerte Weise an.

Bitte lesen Sie auch den Artists' Statement von code flow.